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AutorenbildNahed Hatahet

Interview: Geschlechtergerechtigkeit in Zeiten der Digitalisierung

Künstlich intelligente Maschinen verarbeiten und lernen aus unseren Nutzungsverhalten und studieren damit unser natürliches Verhalten – mit dem Ziel uns Menschen noch besser dienen zu können. Geschlechtergerechtigkeit wird daher immer wichtiger, vor allem auch in der Digitalisierung – denn Maschinen müssen verstehen, dass die von Menschen produzierten Verhaltensmuster geschlechtsneutral geprüft und weiterverarbeitet werden. Der Digital-Experte Nahed Hatahet führte ein Interview dazu mit dem österreichischen Experten für Geschlechtergerechtigkeit und Buchautor Klaus Podirsky, MA. Lassen Sie sich inspirieren von diesem besonderen Menschen und Künstler – der nicht nur von einer geschlechtergerechten Welt träumt, sondern diese aktiv mitgestaltet und damit erschafft.


Foto © Klaus Podirsky, MA

„Das heutige Augenmerk der Gesellschaft nimmt primär die Schwierigkeiten von Mädchen in den Fokus. Das Verständnis und die Empathie für Jungs sind nicht gleichermaßen gegeben.“

(Zitat: Klaus Podirsky, MA, Sozialpädagoge und Künstler)


Nahed Hatahet: Lieber Herr Podirsky, vielen Dank für das Blog-Interview, ich freue mich sehr darüber! Sie beschäftigen sich ja intensiv mit dem Thema Geschlechtergerechtigkeit. Sie haben auch zahlreiche Bücher verfasst. Ihr nunmehr letztes: „Der Eisberg des Gender Gap“. Ebenfalls haben Sie VaterKind outdoor CAMPs (www.vaterkind-camp.at) ins Leben gerufen und mit twogether.wien (www.twogether.wien) eine Initiative für ein faires und wertschätzendes Miteinander der Geschlechter in Wirtschaft, Gesellschaft & Familie gestartet. Können Sie uns kurz beschreiben, was es mit twogether.wien auf sich hat sowie Ihre konkreten Aufgaben als Gründer von twogether.wien und wie Sie dabei auch dem digitalen Wandel begegnen?


Klaus Podirsky, MA: Danke für die kurze Vorstellung und Ihre Fragen. Ich war ja u.a. mehr als ein Jahrzehnt als Sozialpädagoge mit der Aufgabe befasst, sogenannte „schwierige Jungs“ zu betreuen. Männliche Jugendliche, die ihre persönliche Lebenssituation zunächst nicht bewältigen konnten, weil das heutige Augenmerk der Gesellschaft primär die Schwierigkeiten von Mädchen in den Fokus nimmt. Und aus dieser Lebensaufgabe heraus entstand der Antrieb, mich mit dem Aspekt „echter Geschlechtergerechtigkeit“ – jenseits von „Gender-Gleichmacherei“ – zu beschäftigen.


Ich recherchierte jahrelang zu diesem Thema, da meine beruflichen Erlebnisse mir u.a. klar vor Augen führten, dass die Bildungssituation von Buben (Jungen) in Österreich keine Chancengleichheit mehr gewährleistet. Das nach wie vor bestehende Bildungsideal "brav-sein", wie u.a. "ruhig sitzen" und "Anpassungsbereitschaft", führt bei Jungs vielfach zu störendem Verhalten, zu schlechteren Noten, zum verfrühten Ausscheiden aus dem Bildungsprozess. Dies war aufrüttelnd genug.


Denn der soziale Mensch sowie der Idealist in mir, konnte nicht mitansehen, mit welchem Tabu dieser soziale Wandel belegt und ignoriert wird. Die Situation ist ja bereits um die Jahrtausendwende gekippt. Damals gab es zwischen Jungs und Mädchen eine zahlenmäßig ausgewogene, wenn auch gesamtgesehen unbefriedigende Bildungssituation. Heute aber sind höhere Bildung (Matura wie auch universitäre Abschlüsse) bereits alarmierend ungleich verteilt (ca. 1/3 Jungs zu 2/3 Mädchen). Meine Recherche dauerte fast viereinhalb Jahre und mündete im März 2021 in der Herausgabe des genannten Buches.



Was noch geschah: Gemeinsam mit anderen Frauen und Männern rief ich 2018 die zivilgesellschaftliche Initiative twogether.wien ins Leben: Bei unseren Veranstaltungen sprechen Frauen ausschließlich für Männer(-Anliegen) und Männer für Frauen(-Anliegen). Meine Aufgabe dabei ist es, renommierte Menschen für diesen „paradoxen Gender-Gedanken“ zu begeistern, um zu üben, Empathie entgegenzubringen. Die braucht es meines Erachtens dringlichst, um zwischen den Geschlechtern Versöhnung und „Vertöchterung“ zu befördern. Wer Joseph Beuys’ Ansatz bezüglich „sozialer Kunst“ kennt, wird das Projekt „twogether.wien – Men4Women, Women4Men, HUMANS4HUMANS!“ nicht primär als „paradoxe Intervention“, sondern als Kunst-Projekt schätzen: angewandte Verantwortungs-Ethik – statt alter Gesinnungsethik.


Lassen Sie uns schauen, wohin uns dieses konkrete Gender-Framing (Männer für Frauen / Frauen für Männer) in den nächsten Jahren führen kann … Nun zum zweiten Teil der Frage … Durch den „digitalen Wandel“ hat sich mir als Initiator eine bis zu dem Zeitpunkt großteils unbekannte, zugleich aber äußerst spannende Welt eröffnet: Was sich meine „schwierigen Jungs“ spielerisch über ihre Art des PC-Umgangs erwarben, wurde für mich in den letzten Jahren zur riesigen Herausforderung: Förderanträge, Webseitenbetreuung, Powerpoints erstellen, mit Microsoft Teams arbeiten lernen, Social Media etc. sind da lediglich die Spitze eines „digitalen Eisbergs“, dem ich mich – neben meinem tagtäglichen Menschsein – zu stellen habe. Heilfroh bin ich über jede Art ergänzender Unterstützung all jener begabten und initiativen Menschen, die dieses gemeinschaftliche Anliegen unterstützen. Alles neue Freunde für eine neue Welt der Gemeinschaftlichkeit und gegenseitigen Freude.


Foto © Klaus Podirsky, MA

„Der Mensch ist letztlich keine Maschine, sondern ein auf Freiheit hin angelegtes, kulturelles und soziales Wesen.“

(Zitat: Klaus Podirsky, MA, Sozialpädagoge und Künstler)


Nahed Hatahet: Geschlechtergerechtigkeit ist also wesentlich mehr, als man sich so vorstellt - danke für diese wertvolle Aufklärung. All diese Themen sind ja Ihr tägliches Brot. Ein sehr aktuelles Thema in der Digitalisierung sind vermehrt Maschinenethik und Datenkultur. Was verstehen Sie konkret darunter und warum meinen Sie, ist gerade dieses Thema so wichtig geworden?


Klaus Podirsky, MA: Ja, das kann manN / frau wirklich so sagen. Bisher gab es traditionell „alte Rollen“, welche heute leider versucht werden, durch die Vorgabe „neuer Rollen“ zu ersetzen. Es geht aber – wie ja auch Sie, Nahed, nicht müde werden zu betonen – um den Menschen. Und dieser Mensch ist letztlich keine Maschine, sondern ein auf Freiheit hin angelegtes, kulturelles und soziales Wesen – auf dem Weg zu echter Mündigkeit. Der-Mensch-als-Individuum erfährt heute auf der einen Seite eine nie geahnte Aufmerksamkeit, andererseits aber ist diese Individualisierung auch gefährdet. Gerade durch geforderte Anpassung an sowohl alte wie neue Sozial-Systematik. Erst jenseits davon aber ist der Entwicklungsraum zum „Menschen“.


Noch zu Ihrer Frage bzgl. „Maschinen-Ethik“ und unserer „Daten-Kultur“: Mein ehemaliger Waldorfkollege, Kunst-Lehrer und Beuys-Schüler, Johannes Matthiessen, wurde nie müde, der Technik und dem Menschen ihren jeweiligen Platz zuzuordnen, wenn er sagte: „Die Technik definiert den Menschen. Alles, was sie kann, ist (noch) nicht Mensch.“ Das gilt es bei all dem Erreichten nie außer Acht zu lassen.


Foto © Klaus Podirsky, MA

„Unser unethisches Verhalten wird von der Maschine übernommen. Wenn wir ethisch darauf nicht achten bzw. technisch darauf vergessen, werden uns solche Avatare ebenfalls auf diese unethisch menschliche Weise begegnen.“

(Zitat: Klaus Podirsky, MA, Sozialpädagoge und Künstler)


Nahed Hatahet: Mit twogether.wien leben Sie ja auch den Slogan "Es gibt nur ein Boot". Wir Menschen sitzen also alle im gleichen Boot, aber nun kommen Maschinen und virtuelle Kolleg*innen die uns aktuell vermehrt in unserer Arbeit unterstützen. Was mich sehr interessiert: Sind es für Sie dann eher virtuelle Kollegen oder virtuelle Kolleginnen bzw. wie soll ein maschinell generierter Avatar nun aussehen – in einer Zeit, in der die Geschlechtergerechtigkeit so enorm wichtig geworden ist?


Klaus Podirsky, MA: „Die Maschinen“ werden bislang von uns mit unseren Vorgaben ausgestattet. Vorgaben welche durch unsere Werte/Bewertungen bestimmt sind, ob wir das bemerken oder nicht, ob wir das wollen oder nicht - d.h. auch unser unethisches Verhalten wird von der Maschine übernommen. Wenn wir ethisch darauf nicht achten bzw. technisch darauf vergessen, werden uns solche Avatare ebenfalls auf diese unethisch menschliche Weise begegnen. Meines Erachtens aber auf eine Weise, die uns auf unserem Weg zur Freiheit nicht dienen wird, weil die Maschinen unser unethisches Verhalten ebenfalls übernehmen – wie bereits erwähnt.


„Wer herrschen will, muss dienen gelernt haben.“ sagt eine alte chinesische Weisheit. Auch so ein paradoxes, widersprüchliches Verhaltens-Paradigma! Ich hoffe, wir werden begreifen, dass jede Hilfe – ob von Menschen- oder Maschinenseite, die diese Weisheit nicht beherzigt, uns keinen günstigen Dienst erweisen wird, auf dem Weg zum eigenen Menschsein, zu unserer Mündigkeit und Freiheit. Genau deshalb ist es so entscheidend den Standpunkt „Mensch“ (im Gegensatz zum „Standpunkt „Maschine“) zu definieren. Und: Was wollen wir – aus Einsicht in unsere menschliche Realität? Das Gefühl von Zusammengehörigkeit, Empathie – und zu verstehen, dass wir ein Teil von etwas größerem Ganzen sind. Etwas, was die Maschine so nicht fassen kann: Aber, wir Menschen haben dazu die Chance – nutzen wir sie beizeiten auf liebevolle Weise: twogether!


Foto © Klaus Podirsky | Bildtitel "König & Königin", 2013, Klaus Podirsky, MA

„Ich habe keine Ahnung, ob die Digitalisierung androgyne Avatare, ausformen wird. Ich jedenfalls hoffe darauf.“

(Zitat: Klaus Podirsky, MA, Sozialpädagoge und Künstler)

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Nahed Hatahet: Sie sind ja auch Visionär in ihrem so speziellen und wichtigen Thema. Wir haben nun schon festgestellt, dass auch Maschinen lernen müssen, Geschlechter gleich zu behandeln. Wir schaffen uns eine Welt, in der Maschinen und Menschen hoffentlich in einer Symbiose leben werden können. Es ist offensichtlich, dass künstlich intelligente Maschinen viele Arbeiten, die bisher nur für uns Menschen vorgesehen waren, übernehmen werden können. Welchen Faktor wird der Mensch noch spielen und welche Werte haben wir in einer solchen Zukunft Ihrer Meinung nach?


Klaus Podirsky, MA: Geschlechtergerechtigkeit ist heute ein sehr kontrovers gehandeltes Thema. Ganz im Gegensatz zur Künstlichkeit der digitalisierten Welt, stellt der Mensch als Mann oder Frau eine natürliche, körperpsychische Einheit dar – mit spezifischen Eigenheiten. Die menschliche Natur ist somit alles andere als geschlechtsneutral, selbst wenn dies von Vertreter*innen der Gender-Bewegung (= LGBTIQ) immer und immer wieder proklamiert wird. Wer trans- bzw. intersexuelle Personen kennt, weiß: Keiner dieser Menschen lässt sich „zum Spaß“ um-operieren. Selbst da: Faktisch jeder oder jede kennt seine/ihre klare innere Zuordnung zu einem der beiden Geschlechter! Mögliche Ausnahmen bestätigen auch da die Regel.


Über allen künftigen Entwicklungen steht meines Erachtens ein großer Leitstern: Wahre Geschlechtergerechtigkeit trägt – ebenso wie Yin & Yang – kein quantitatives, sondern ein qualitatives Gleichgewicht in sich – und daher keinesfalls ein abstraktes 50:50. Dies gilt als innerer Einklang für den individuellen Mann, für die individuelle Frau – wie auch gesellschaftlich. Hier wird unser menschliches Maß gefordert sein. – Und das ist der gemeinsame Boden für twogether.wien. Denn: „Es gibt nur EIN Boot!“


Und nun zu Ihrer Frage bezüglich künftiger Entwicklungen in der Digitalisierung. Die zentrale Frage, welche wir Menschen uns stellen müssen, heißt: „Wie können Maschinen (Roboter) von uns Menschen geschlechtsneutral programmiert werden, anerkennend jedoch, dass wir selbst nicht geschlechtsneutral (androgyn) sind?“ – Solch geschlechtsneutrale, digitale Roboter-Programmierungen werden uns meines Erachtens nur dann sinnvoll dienen, wenn wir als Menschen anerkennend zu unserer eigenen Geschlechter-Unterschiedlichkeit und daraus resultierender Diversität stehen. Keineswegs aber kann es darum gehen, sich aus Gründen angestrebter rechtlicher Gleichberechtigung zunehmend in eine zeitgeistige Art von psychischer Geschlechtsneutralität zu verabschieden. Vor dem Gesetz, ja da haben wir Menschen alle als „gleich“ zu gelten – und auch bzgl. technischer Versuche zu digitalisierten Versionen im Bereich „künstliche Intelligenz“. Sicherlich jedoch nicht bezüglich unserer menschlich individuellen Fähigkeiten, Stärken und Schwächen. Und ebenso wenig bezüglich geschlechtsspezifischer Neigungen und Bedürfnisse.


Ich habe keine Ahnung, ob die Digitalisierung androgyne Avatare, ausformen wird. Ich jedenfalls hoffe darauf. Denn dies könnte als äußerliche und künstliche Unterscheidbarkeit zum Menschen herhalten.


Foto © Klaus Podirsky, MA

„Die Digitalisierung benötigt ein mehr an Kunstunterricht, ein mehr an Musischem, mehr an Bewegung, Sport und Tanz – mehr an analoger Kompetenz.“

(Zitat: Klaus Podirsky, MA, Sozialpädagoge und Künstler)


Nahed Hatahet: Wenn ich Sie noch direkt fragen darf: Haben Sie persönlich auch Angst vor der Zukunft, wenn wir uns als Menschen mit Digitalisierung und dem digitalen Wandel eine neue disruptive Welt schaffen? Müssen wir uns auch als Gesellschaft und jeder Einzelne noch mehr um unsere Daten und was damit passiert kümmern? Müssen wir um unsere Daten kämpfen?


Klaus Podirsky, MA: Nein, ich habe keine Angst vor zunehmender Digitalisierung oder dem darauf basierenden Wandel. Außerdem vertraue ich der (inneren) Führung des Menschen hin zur Mündigkeit. Der Mensch hat stets beizeiten den Wandel genutzt, um die rechten Schritte zu setzen. Schauen Sie: Wer hat vor 30 Jahren dem „globalen Klimawandel“ Beachtung geschenkt oder seinen Symptomen wie „abschmelzende Eisberge“? Kaum jemand. Mittlerweile aber ist es so weit. Und auch wenn man sich wünschen würde, dass die Zeichen früher erkannt und ernstgenommen werden: Sie werden heute erkannt und ernstgenommen.


Und ebenso ist es heute meines Erachtens mit dem „sozialen Klimawandel“: Vielleicht werden die Menschen auch dem „Eisberg des Gender Gap“ erst in 20 bis 30 Jahren ernsthaft begegnen. Aber sie werden sich ihm stellen (müssen), da bin ich zuversichtlich.


Wenn wir uns als Menschen also vermehrt auf die Digitalisierung einlassen, bedeutet dies diese Technologien auch im Bildungsbereich verstärkt zu forcieren. Als Gegengewicht für unser "Mensch sein" schlage ich vor: ein mehr an Kunstunterricht, ein mehr an Musischem, mehr an Bewegung, Sport und Tanz – mehr an analoger Kompetenz (mehr an Handwerk), mehr an sozialer Kompetenz, mehr an Werten und mehr an realer Friedensarbeit sowie kompakte Zeit an Projekten (vor allem auch in der Natur). – Dann wird es gelingen, dass Digitalisierung uns hilfreich unterstützt, statt unsere Freiheit zu unterminieren.


Nahed Hatahet: Vielen Dank für Ihre Zeit und diese Einblicke Herr Podirsky!


Klaus Podirsky, MA: Danke für die Möglichkeit, mich zu äußern! Und: Alles Gute Ihnen, immer wenn „es-um-den-Menschen-geht“.

 

Quelle: Interview geführt und erstellt von Nahed Hatahet

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